Antiautoritäre Erziehung: Aufwachsen ohne Grenzen?

Eltern, die ihren Nachwuchs antiautoritär erziehen, stehen oft in der Kritik: Sie würden ihre Kinder zu Egoisten erziehen, die keine Regeln kennen. Doch die antiautoritäre Erziehung hatte auch grossen Einfluss darauf, dass bei Erziehungsfragen das Wohl des Kindes stärker in den Fokus rückte.

Antiautoritäre Erziehung: Definition und Ursprung

In den 1960er-Jahren hat sich die antiautoritäre Erziehung als Gegenentwurf zum autoritären Erziehungsstil entwickelt. Vor allem die Studentenbewegung hatte einen erheblichen Anteil daran. Hierarchische Strukturen aufzubrechen und mehr Individualität zu entfalten, waren zentrale Motive der Bewegung. Das veränderte auch die etablierten, autoritären Erziehungsmethoden.

Zuvor betrachteten Eltern ihre Kinder praktisch als persönliches Eigentum. Kinder mussten sich unterordnen und stets dem Willen der Eltern beugen. Die antiautoritäre Erziehung verfolgte genau entgegengesetzte Ziele: Kinder bekamen den Freiraum, ihren Wünschen und Vorlieben nachzugehen, Aktivitäten selbst zu bestimmen und eigene Erfahrungen zu machen.

Eltern begriffen Kinder als individuelle Persönlichkeiten und schufen Rahmenbedingungen, in denen sie sich vollkommen frei entfalten und selbstbestimmt handeln konnten. Dazu gehörten feste Familienstrukturen, in denen die Eltern auf die Bedürfnisse der Kinder Rücksicht nahmen, Angebote unterbreiteten und sie keinem Zwang aussetzten.

Diese Kernelemente der antiautoritären Erziehung können sich durchaus positiv auf die Entwicklung des Nachwuchses auswirken und zahlreiche Vorteile bieten:

  • Eltern respektieren die Wünsche und Bedürfnisse ihrer Kinder.
  • Kinder fühlen sich wertgeschätzt und ernstgenommen.
  • Kinder treffen innerhalb von festen Strukturen und Regeln eigenständige Entscheidungen. Das fördert das Selbstvertrauen.
  • Kinder lernen, Verantwortung zu übernehmen und auch ohne Anleitung eigene Erfahrungen zu machen.
  • Die antiautoritäre Erziehung fördert die Kreativität.
  • Antiautoritär erzogene Kinder sind im Erwachsenenalter unabhängiger, konflikt- und kritikfähig.
  • Im Rahmen der antiautoritären Erziehung sehen Eltern Kinder als gleichberechtigte Familienmitglieder an und kommunizieren mit ihnen wertschätzend und liebevoll.

Die antiautoritäre Erziehung in der Kritik

Die antiautoritäre Ausrichtung der Erziehung führte jedoch dazu, dass zahlreiche Kinder in ihrer Erziehung keine festen Strukturen und Regeln kennenlernten. Folgende Merkmale der antiautoritären Erziehung haben darin ihren Ursprung.

  • Eltern lassen ihren Kindern freie Hand bei der Gestaltung des Alltags. Das bezieht alle Bereiche ein: Freizeit, Ernährung, Kleidung, Bettruhe usw.
  • Eltern geben ihren Kindern keine Regeln und Grenzen vor.
  • Eltern erteilen keine Verbote oder Strafen.
  • Eltern erfüllen die Wünsche des Nachwuchses bedingungslos.

Folgen einer übermässigen antiautoritären Erziehung

Die Laissez-faire-Einstellung vieler Erzieher in den 1960er- und 1970er-Jahren führte zu massiver Kritik an der antiautoritären Erziehung. Schliesslich kann ein Erziehungsstil ohne Regeln, Grenzen und Strukturen durchaus negative Folgen auf die Kindesentwicklung haben. Das macht sich auch im Erwachsenenalter bemerkbar. Zu den möglichen negativen Folgen der antiautoritären Erziehung gehören zum Beispiel die untenstehenden Merkmale:

  • Kinder tendieren mitunter zu egoistischem Verhalten und haben Schwierigkeiten im sozialen Umfeld.
  • Sie reagieren schnell impulsiv, wenn sie nicht das bekommen, was sie möchten, oder sie nicht im Mittelpunkt stehen.
  • Kinder respektieren keine Regeln, Strukturen und Autoritäten.
  • Im Erwachsenenalter tun sie sich schwer, sich in feste (berufliche) Strukturen einzuordnen.

Antiautoritäre Erziehung heute: Wegbereiter für die Moderne

Die antiautoritäre Erziehung hat die modernen Erziehungsstile und die sozialen Beziehungen innerhalb der Familie stark beeinflusst. Der demokratische Erziehungsstil bedient sich zahlreicher Kernelemente der ursprünglichen Idee der antiautoritären Erziehungsmethode. Mittlerweile ist die demokratische Erziehung am gebräuchlichsten und wird in den meisten Familien praktiziert.

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