Familienalltag
Hello Family Bloggerin Nadja

Vorurteile gegenüber Einzelkindern

Obgleich diese Vorurteile eigentlich schon längst überholt sein müssten und Studien dies schon seit Jahren widerlegen, hält sich das Gerücht hartnäckig: Einzelkinder seien sozial auffälliger, egoistischer und einfacher weniger angenehm als Geschwisterkinder.

Ich sage: Das ist komplett falsch. Und das sage ich nun nicht, weil ich mich auf eine bestimmte Studie stütze. Ich habe in verschiedenen Studien viel über Einzelkinder gelesen. In der Schweiz soll jedes fünfte Kind ein Einzelkind sein. Es gibt mehr Einzelkinder in Städten als auf dem Land – das kann ich nachvollziehen, und das hat sicherlich auch mit den höheren Lebenskosten zu tun. Was man sonst noch über Einzelkinder liest: Einzelkinder sollen in der Schule besser sein und sich auch mehr auf die Schule freuen. Einzelkinder seien im Sport nicht besser oder schlechter als Geschwisterkinder. Und so weiter und so fort. Sind Einzelkinder egozentrischer oder gar verhätschelte Egoisten? Sind Einzelkinder unkooperativ und intolerant, weil sie nie gelernt haben, mit anderen Kindern im gleichen Haushalt auszukommen?
 
Natürlich können empirische Untersuchungen durchaus Sinn machen, doch: Beunruhigt uns der Status eines Einzelkinds so sehr, dass wir rundherum untersuchen müssen, ob es nun wirklich anders ist als Kinder mit Geschwistern? Wollen wir herausfinden, ob man Einzelkinder vielleicht anders erziehen muss, damit das Kind zu einem rechtschaffenen Erwachsenen heranwächst? Gibt es etwas, das man bei der Erziehung von Einzelkindern speziell beachten müsste?
 
Nun, ich bin weder Einzelkind noch habe ich ein Einzelkind. Aber ich kenne Einzelkinder. Und kein einziges davon ist mir bis jetzt je unangenehm aufgefallen. Geschwisterkinder aber schon. Und manchmal frage ich mich, ob nicht vielleicht gerade Geschwisterkinder egoistischer sind, weil sie zum Beispiel als Erstgeborene «entthront» wurden und dann immer alles teilen mussten. Den Kuchen, das Säcklein Marroni beim Schlendern durch die Stadt, das Zimmer, den Legoturm, das Mandarinli auf dem Spielplatz, den Platz auf dem Sofa beim Familienfilm und die generelle Aufmerksamkeit der Eltern. Wäre es nicht logischer, man würde sich dann all diese Dinge, bei denen man schon das ganze lange Kinderleben immer wieder hintenanstehen musste, erst recht holen wollen? Mit Ellbogen und Zornesfalte?
 
Wo kommen denn diese Vorurteile Einzelkindern gegenüber her? Noch heute höre ich manchmal ein «ist halt ein Einzelkind» und dazu das innerliche Augenrollen. Obschon – wie erwähnt – viele Studien dagegensprechen. Klar, Einzelkinder können genauso unangenehme Zeitgenossen sein wie alle anderen Kinder. Meines Erachtens hängt dies vor allem mit der Erziehung zusammen und der Dynamik innerhalb der Familie. Und mir fallen noch viele andere Faktoren ein, inklusive der charakterlichen Prägung, die das Kind schon von vorherein hat.
 
Und dann lese ich, dass nach einer Auswertung tausender Krankenakten in den Niederlanden Einzelkinder häufiger krank und übergewichtig seien. Ok. Warum wollen wir so etwas wissen? Inwiefern hilft uns das? Und dann wieder einen anderen Artikel, der beschreibt, dass gemäss der Analyse einer Langzeitstudie der Universität Glasgow bei Einzelkindern keinerlei Unterschiede in Bezug auf Verhaltensbesonderheiten beobachtet werden konnten. Ha. Also. Da haben wir's.
 
Beides – Geschwister zu haben oder eben nicht – hat Vor- und Nachteile: Ein Einzelkind hat durchaus mehr von den Eltern, das kann schön sein. Besonders in der heutigen Zeit, in der Eltern auch tatsächlich mit den Kindern mehr oder weniger auf Augenhöhe reden. Ich gehe davon aus, dass dies Auswirkungen auf die Sprachgewandtheit hat. Auf der anderen Seite können Ferien als Einzelkind sicher ganz schön langweilig sein. Oder auch der Alltag. Ich fand es immer schön, einen Bruder zu haben. Er aber, denke ich rückblickend (und sehe mich vor mir, wie ich als kleine Schwester nicht selten wirklich sehr nervte und er mich stoisch ertrug), wäre vielleicht ab und zu schon gerne ein Einzelkind gewesen. 

Es ist jedoch ein Unterschied, ob das eine oder andere vielleicht schöner ist, oder ob es da wirklich charakterliche Unterschiede gibt. Ich finde, es liegt ein bisschen an uns allen, dieses Stigma des schwierigen Einzelkindes aufzulösen. Die unqualifizierten Aussagen und rollenden Augen sollten wir nicht mehr unkommentiert lassen, sondern zurückfragen, worauf sich der Augenrollende bei dieser Aussage stützt. Vielleicht gelingt es in einer Diskussion, das haltlose Vorurteil zu entkräften. Als kleine, selbstlose Tat für die Einzelkinder dieser Welt.

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