Freiraum und Impulse
Kinder sind von Natur aus neugierig. Doch nicht immer haben sie die Möglichkeit, ihren Wissensdurst zu stillen. Eltern üben den grössten Einfluss auf die Lernbereitschaft der Kinder aus.
Kinder sind von Natur aus neugierig. Doch nicht immer haben sie die Möglichkeit, ihren Wissensdurst zu stillen. Eltern üben den grössten Einfluss auf die Lernbereitschaft der Kinder aus.
Der Wald bietet interessante Möglichkeiten, den Kindern die Pflanzen, Tiere und all die Zusammenhänge in der Natur näher zu bringen. Und wer sogar die Gelegenheit hat, als Familie einen Förster im Wald zu begleiten, erfährt noch einiges mehr über das Leben im Wald. Solche Erfahrungen sind für Kinder meist unvergesslich und oftmals auch prägend. Denn mit ihnen steigt plötzlich das Interesse an gewissen Themen, die ihnen vorher verborgen geblieben sind. «Ein Junge, den ich betreue, ist dank seiner Eltern ein grosser Fan des Schweizer Nationalparks geworden. Er sammelt alles darüber und weiss bestens über den Nationalpark Bescheid», erzählt Rose Marie Knickenberg aus Zeiningen. Im Rahmen ihres Instituts bildet sie Lernberaterinnen und Lernberater aus. Die Eltern und das soziale Umfeld spielen eine besonders wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Kinder lern- und wissbegierig für schulische und andere Themen zu machen. So können die Hobbys der Eltern oder Geschwister ein Kind inspirieren und begeistern. Auch die allgemeinen Gespräche und Diskussionen am Familientisch oder gemeinsame Ausflüge sind wertvolle «Kanäle», um den Kindern neue Erfahrungen und Erlebnisse zu ermöglichen. «Solche Entdeckungsreisen bereiten den meisten Kindern Freude. Das Erlebte bleibt länger im Hirn gespeichert und sorgt nicht selten für einen nachhaltigen Effekt im Sinne von Interesse und Neugier», berichtet Rose Marie Knickenberg.
Neugier und Wissensdurst sind den Kindern von Natur aus gegeben. Wie wissenschaftliche Studien bewiesen haben, üben die Eltern den grössten Einfluss auf die Lernbereitschaft ihrer Kinder aus. «Zuerst kommt die Emotion. Mit ihr wird der Boden geschaffen, damit ein Kind gerne lernt. Deshalb soll das Lernen in einem emotionalen Wohlfühlumfeld stattfinden», sagt Rose Marie Knickenberg. Doch nicht alle Menschen lernen gleich. «Jeder Mensch hat seinen individuellen Lernstil, je nachdem, welchem Lerntyp er angehört.» (siehe Kastentext). Deshalb sei es wichtig, das Kind nicht in ein Lernschema zu pressen. «Ich empfehle, verschiedene Sachen auszuprobieren, um so den besten Weg für das Kind zu finden.» Manche Eltern bewegen sich hier auf einer Gratwanderung: Wie weit sollen sie ihr Kind fördern und fordern? Für die Lernberaterin steht fest: «Es gibt Kinder, die brauchen viel, andere wenig Initiative von Seiten der Eltern. Man darf die Kinder weder über- noch unterfordern. Vielmehr sollen die Lernimpulse der Persönlichkeit des Kindes entsprechen.» Musik und Bewegung sind beliebte und wertvolle Mittel, um den Kindern neues Wissen zu vermitteln. So werden durch die Musik mehr Gehirnbereiche aktiviert als zum Beispiel durch Vorlesen. Und weil viele Kinder über einen starken Bewegungsdrang verfügen, sollte man diesen nicht unterdrücken. Dies kann laut Rose Marie Knickenberg die Entwicklung des Kindes beeinträchtigen.
Weiter brauchen Kinder Vertrauen. Denn sie lieben es, zu experimentieren und selber etwas auszuprobieren. Die Eltern dürfen ihnen ruhig etwas zumuten, das dem Alter ihrer Schützlinge entspricht. «Wenn man dem Kind zuliebe alle Hindernisse aus dem Weg räumt, hilft man ihm kaum auf seinem Lernweg», weiss Brigitt Baumgartner, Lehrperson, aktiv in der Elternbildung sowie im Kantonalvorstand der Sektion von Schule und Elternhaus St. Gallen/Appenzell tätig. Besser sei es, die Kinder frühzeitig zur Selbstständigkeit zu führen und ihnen Problemlösungsstrategien aufzuzeigen. Lernen durch Erleben lautet die Devise. «Das bedeutet, das Lernen über verschiedene Kanäle wie Hören, Lesen, Sehen und Handeln zu ermöglichen. Eltern sollten dem grosse Beachtung schenken,» sagt Brigitt Baumgartner. Das Kind ist dabei Experte. Und in diesem Sinne spricht man mit ihm: Wie gelingt es dir am besten? Welches Ziel hast du? Welchen Sinn kannst du erkennen?
Die S&E-Delegierte plädiert für ein ressourcen- und lösungsorientiertes Handeln, das auf den Stärken des Kindes aufbaut. Leider sei das hiesige Schulsystem noch stark fehler- und defizitorientiert. «Die vielen Fragen der Notengebung sind in der Diskussion, politische Entscheidungen werfen gute Bewertungssysteme über den Haufen, Kompetenzunklarheiten zwischen Schulbehörden und Schulleitungen zeigen klare Mängel auf. Diese Unzulänglichkeiten der Erwachsenen gehen immer auf Kosten der Kinder,» kritisiert Brigitt Baumgartner. Will man jedoch die Neugier und den Wissensdurst der Kinder bewahren, muss man sie mit all ihren Fragen ernst nehmen. Dies braucht Zeit und Raum für ihre individuelle Entwicklung. Mit überfüllten Lehr- und Stoffplänen können diese Bedürfnisse nicht berücksichtigt werden. Brigitt Baumgartner fordert deshalb, die Kinder in die neue Lehrplandiskussion miteinzubeziehen. «Mit den Kindern reden und nicht über sie reden – das ist ein Grundsatz meiner pädagogischen Arbeit.»
Auch die Eltern sollten partnerschaftlich in diese Zusammenarbeit eingebunden werden. Aus diesem Grund werden die Elternbildung und Elternmitwirkung in den nächsten Jahren sehr entscheidend sein, um den Druck auf Lehrkräfte nicht noch mehr zu vergrössern, denn das Spannungsfeld ist laut Brigitt Baumgartner schon jetzt so gross wie noch nie. «Durch die Individualisierung des Lernens ohne die entsprechenden Rahmenbedingungen herrscht ein sehr grosser Erwartungsdruck auf die Lehrkräfte und die Schule.» Dabei sollten doch die Lernfortschritte der Kinder im Zentrum stehen.